"Gott segne unser Land"

 

Der künftige deutsche Bundespräsident sorgt bereits jetzt für Überraschungen - Eine Analyse von Helmut Matthies

Wann hat es das schon einmal im Reichstag gegeben, dass Gott nach einer Rede unter Politikern, Journalisten und Besuchern zum Thema wurde? Am Sonntag kurz nach 14 Uhr beendete der gerade gewählte neue Bundespräsident – Horst Köhler – seine erste Rede mit dem Satz: „Gott segne unser Land.“ Das hat bisher noch kein künftiges deutsches Staatsoberhaupt getan – auch nicht die kirchlich sehr engagierten Protestanten Richard von Weizsäcker (Ex-Kirchentagspräsident), Roman Herzog (EKD-Kammer-Vorsitzender) und Johannes Rau (rheinisches Kirchenleitungsmitglied). Und Köhler tat es gegenüber einem versteinert blickenden Bundeskanzler, der bekanntlich von Gott (noch) nichts wissen will.

Auf die Frage, warum er mit Gott seine Rede beendete, äußerte Köhler: „Das entspricht meiner Grundeinstellung. Es hat mir in meinem Leben immer wieder geholfen, in schwierigen Situationen auf Gott zu vertrauen.“ Journalisten berichten, dass nichts aus der Rede Köhlers die Gespräche im Reichstag so sehr beschäftigt habe wie diese Erwähnung Gottes.

Deutschland bekommt auch sonst ein ungewöhnliches Staatsoberhaupt: Köhler ist Flüchtling, hat in Ost und West gelebt, arm und reich erlebt. Seine Eltern waren deutsche Siedler im damals rumänischen Bessarabien (heute Moldawien). Im Zweiten Weltkrieg mussten sie dort ihren Bauernhof verlassen, kamen nach Polen, wo Horst Köhler 1943 geboren wurde. 1945 flohen sie nach Mitteldeutschland. Nach acht Jahren sowjetischer Besatzung und DDR-Zeit in Markkleeberg bei Leipzig (wo Horst Köhler 1946 in der evangelischen Kirche getauft wurde) floh die Familie erneut – jetzt nach Westen in die Gegend von Ludwigsburg. Erst als Horst 14 war, endete das Leben in Lagern. Sie bekamen eine Wohnung. Während seines Studiums starb sein Vater. Horst Köhler musste nebenher Geld verdienen, trug Postsäcke aus, sammelte Altkleider für Afrika. Trotz aller Armut machte er als eines von acht Kindern Karriere, wurde Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Als seine Tochter erblindet, gab er die politische Karriere zunächst auf, um sich mehr um sie zu kümmern. Als sein Sohn mit 17 Vater wurde, stand für die Familie (seine Frau ist Religionslehrerin) fest, dass das Kind nicht abgetrieben wird. Vor sechs Jahren erklomm er den höchsten Posten, den ein Deutscher in der internationalen Politik in den letzten Jahren bekleidete: Er wurde Präsident des Internationalen Weltwährungsfonds. Köhler blieb bescheiden. Als er sich jetzt in Berlin als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten vorstellte, fuhr er mit dem Zug 2. Klasse von Frankfurt in die Hauptstadt.

Beim Währungsfonds lernte er die Probleme der Dritten Welt intensiv wie sonst kaum ein anderer international tätiger Wirtschaftsmann kennen. Er weiß, was Mangel auch heute bedeutet. Mehrfach kritisierte er bereits die Raffgier von Spitzenmanagern der deutschen Wirtschaft. Als einer, der Deutschland jahrelang von außen betrachtet hat, hat er erkannt: Dieses Land braucht eine „tief greifende Erneuerung“. Er mahnt schnellere Reformen an, weiß aber, dass Wirtschaft nicht alles ist: „Es gibt keine langfristig gute Ökonomie ohne Werte und Moral.“ Er ist für einen Gottesbezug in der EU-Verfassung und als Flüchtling für ein deutsches „Zentrum gegen Vertreibung“. Was aber geradezu sensationell ist: Er kritisiert die Abtreibungspraxis in Deutschland, die in den letzten Jahrzehnten dazu geführt hat, dass Millionen Kinder am Leben gehindert wurden. Dieses Thema war bei von Weizsäcker und Herzog geradezu ein Tabu. Es versteht sich fast von selbst, dass er sich als Präsident intensiv für Kinder und Familie einsetzen will. Könnte es ein, dass mit ihm die geistig-moralische Wende, die Helmut Kohl bei seinem Amtsantritt 1982 versprochen hat, jetzt endlich zumindest einen Anfang macht? (idea)


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